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Unsere besondere Buchempfehlung
Antoine de Saint Exupéry - Citadelle. Die Stadt in der Wüste. 1948
Mit „Citadelle. Die Stadt in der Wüste“ hat Antoine de Saint Exupéry seinem „Kleinen Prinzen“ einen großen Prinzen beiseitegestellt, der in einer langen Folge von Reflexionen die philosophischen und gesellschaftstheoretischen Positionen und Visionen vorstellt, die Saint Ex in seinen anderen Büchern nur z.T. entwickelte oder unausgesprochen zu Grunde legte.
So eröffnet sich z.B. auf „Der kleine Prinz“ eine weit komplexere, vielschichtigere und auch überraschende Perspektive, wenn man ihn vor dem Hintergrund der „Citadelle“ liest, die er vorher begann und bis zu seinem Tode weiterschrieb.
Saint Ex wollte damit nicht weniger vollbringen, als seinen „Zarathustra“ vorzulegen. Leider starb er zu früh, so dass uns nur eine unvollendete posthume Fassung zugänglich ist. Nach eigenen Worten hätte er noch 10 Jahre daran arbeiten wollen.
Ich möchte dieses gewaltige Unternehmen einer Suche nach Neubegründung von Humanität angesichts der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts kurz so charakterisieren:
Ein Buch halber, aber aufstörender Wahrheiten.
Ein Zeugnis einer verzweifelten Suche nach dem richtigen Weg zu leben, nach wirklicher und wirkungsvoller Menschlichkeit, nach Gott.
Glänzende Suchbewegungen und dogmatische Verhärtungen einer seltsam beschnittenen Dialektik, die darum weiß, daß „sich die Worte die Zunge zeigen“, aber die sich nicht selbst die Zunge zeigt.
So werden die Widersprüche wieder einmal zugunsten einer Seite gelöst, statt die Bewegung ihrer Spannung nachzuzeichnen und dafür angemessene Wege zu suchen: Das Individuum wird dem Ganzen geopfert, das Nehmen dem Geben, die Ruhe der Tat, das Sein dem Werden, die Vernunft dem Willen.
Wer bei diesen Begriffen – es handelt sich um die 30er und 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts - vorschnell schon wieder mit wohlfeiler Korrektheit richten will, möge das Buch zuerst lesen, es sodann verstehen und wer immer noch glaubt, Schubladen öffnen zu können, pflanze besser in einer derselben Radieschen an.
Was als größter Stachel wohl bleibt, ist, dass auch Saint Ex der Versuchung erliegt und sich zu einer Rechtfertigung von Gewalt zum Zwecke der Humanisierung verführen läßt. Was hätte er wohl 10 Jahre später gedacht? Wir können nur spekulieren und genauestens seine Prämissen befragen, die ihn dazu führten.
Aber bei aller überspitzten Halbheit und unangekommenen Suche:
was für eine Unerschrockenheit des Gedankens, welche Fülle von Ideen und erhellenden Gleichnissen.
Eine Flut wirkungsvollster, manchmal bezaubernd schöner, noch nicht oder nicht mehr denkbare Gedanken einkreisender Bilder und Metaphern, die ein geistiges Ringen anzeigen, wie es nur selten zu finden sein dürfte.
Man kann hier mit Fug und Recht von einem Jahrhundert-Werk sprechen, denn in ihm spiegelt sich alles, was das 20. Jahrhundert prägte und findet den Spiegel vorgehalten - auch vieles, was uns heute lieb und teuer ist in unserer schönen neuen Westwelt.
So sehr die Gärtner-Attitüde des Wüstenherrschers und manchmal auch die gleichnishafte Art und manche predigende Wiederholung schwer erträglich sind und nicht selten das Weiterlesen vergällen, so dankbar muß man Saint-Ex doch auch für diese Form-Wahl nicht nur wegen der literarischen Qualitäten sein:
sie hält die Aufmerksamkeit wach, die dafür sorgt, daß man nicht in der Faszination dieser halben Wahrheiten versinkt, wenn man das Buch zum falschen Zeitpunkt liest.
Es bleibt stets ein Unwohlsein, eine offene Frage, der Stachel zur Gegenrede. Und so erschließt sich, langsam nur und mühevoll, ein geistiges Universum, an dem man wachsen kann, mit und gegen den Wüstenprinzen.
Auf dieses Buch wurde ich vor Jahren durch einen Hinweis von Niklas Luhmann aufmerksam. In seinem 1964 erschienen Buch "Funktion und Folgen formaler Organisation", (Berlin 1964 4. Aufl. 1995, Mit einem Epilog 1994) verweist er am Ende des Schlußkapitels "Menschen und Maßstäbe" mit folgenden Bemerkungen auf Saint-Exupéry: (S. 396) In der Moderne "wird ein Rückgriff auf jenes "Ethos" fragwürdig, das vor der Erfindung der zweckgerichteten Tugendethik die griechische Sprache prägt: die Einheit von vertrauten Wohnstätten, gewohnter Denk- und Handlungsart, sittlichem Charakter und gelassen beherrschtem Auftreten... Ein kraftvolles Zeugnis für die Möglichkeit eines solchen Rückgriffs gibt de Saint-Exupéry 1948. (Citadelle) Eine Auseinandersetzung der Staatslehre mit diesem wesentlichen Werk des modernen Staatsdenkens und der öffentlichen Ethik sucht man vergeblich." Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch dies ist ein Grund, warum wir uns bei philoSOPHIA damit beschäftigen.
Autor: Carsten Passin
Utopisches Reich der "Zitadelle". Zum Gedenken an Antonie de Saint-Exupéry. Ein Artikel in der Zeit von 1949
, eine gute Hinführung zum Buch
So eröffnet sich z.B. auf „Der kleine Prinz“ eine weit komplexere, vielschichtigere und auch überraschende Perspektive, wenn man ihn vor dem Hintergrund der „Citadelle“ liest, die er vorher begann und bis zu seinem Tode weiterschrieb.
Saint Ex wollte damit nicht weniger vollbringen, als seinen „Zarathustra“ vorzulegen. Leider starb er zu früh, so dass uns nur eine unvollendete posthume Fassung zugänglich ist. Nach eigenen Worten hätte er noch 10 Jahre daran arbeiten wollen.
Ich möchte dieses gewaltige Unternehmen einer Suche nach Neubegründung von Humanität angesichts der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts kurz so charakterisieren:
Ein Buch halber, aber aufstörender Wahrheiten.
Ein Zeugnis einer verzweifelten Suche nach dem richtigen Weg zu leben, nach wirklicher und wirkungsvoller Menschlichkeit, nach Gott.
Glänzende Suchbewegungen und dogmatische Verhärtungen einer seltsam beschnittenen Dialektik, die darum weiß, daß „sich die Worte die Zunge zeigen“, aber die sich nicht selbst die Zunge zeigt.
So werden die Widersprüche wieder einmal zugunsten einer Seite gelöst, statt die Bewegung ihrer Spannung nachzuzeichnen und dafür angemessene Wege zu suchen: Das Individuum wird dem Ganzen geopfert, das Nehmen dem Geben, die Ruhe der Tat, das Sein dem Werden, die Vernunft dem Willen.
Wer bei diesen Begriffen – es handelt sich um die 30er und 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts - vorschnell schon wieder mit wohlfeiler Korrektheit richten will, möge das Buch zuerst lesen, es sodann verstehen und wer immer noch glaubt, Schubladen öffnen zu können, pflanze besser in einer derselben Radieschen an.
Was als größter Stachel wohl bleibt, ist, dass auch Saint Ex der Versuchung erliegt und sich zu einer Rechtfertigung von Gewalt zum Zwecke der Humanisierung verführen läßt. Was hätte er wohl 10 Jahre später gedacht? Wir können nur spekulieren und genauestens seine Prämissen befragen, die ihn dazu führten.
Aber bei aller überspitzten Halbheit und unangekommenen Suche:
was für eine Unerschrockenheit des Gedankens, welche Fülle von Ideen und erhellenden Gleichnissen.
Eine Flut wirkungsvollster, manchmal bezaubernd schöner, noch nicht oder nicht mehr denkbare Gedanken einkreisender Bilder und Metaphern, die ein geistiges Ringen anzeigen, wie es nur selten zu finden sein dürfte.
Man kann hier mit Fug und Recht von einem Jahrhundert-Werk sprechen, denn in ihm spiegelt sich alles, was das 20. Jahrhundert prägte und findet den Spiegel vorgehalten - auch vieles, was uns heute lieb und teuer ist in unserer schönen neuen Westwelt.
So sehr die Gärtner-Attitüde des Wüstenherrschers und manchmal auch die gleichnishafte Art und manche predigende Wiederholung schwer erträglich sind und nicht selten das Weiterlesen vergällen, so dankbar muß man Saint-Ex doch auch für diese Form-Wahl nicht nur wegen der literarischen Qualitäten sein:
sie hält die Aufmerksamkeit wach, die dafür sorgt, daß man nicht in der Faszination dieser halben Wahrheiten versinkt, wenn man das Buch zum falschen Zeitpunkt liest.
Es bleibt stets ein Unwohlsein, eine offene Frage, der Stachel zur Gegenrede. Und so erschließt sich, langsam nur und mühevoll, ein geistiges Universum, an dem man wachsen kann, mit und gegen den Wüstenprinzen.
Auf dieses Buch wurde ich vor Jahren durch einen Hinweis von Niklas Luhmann aufmerksam. In seinem 1964 erschienen Buch "Funktion und Folgen formaler Organisation", (Berlin 1964 4. Aufl. 1995, Mit einem Epilog 1994) verweist er am Ende des Schlußkapitels "Menschen und Maßstäbe" mit folgenden Bemerkungen auf Saint-Exupéry: (S. 396) In der Moderne "wird ein Rückgriff auf jenes "Ethos" fragwürdig, das vor der Erfindung der zweckgerichteten Tugendethik die griechische Sprache prägt: die Einheit von vertrauten Wohnstätten, gewohnter Denk- und Handlungsart, sittlichem Charakter und gelassen beherrschtem Auftreten... Ein kraftvolles Zeugnis für die Möglichkeit eines solchen Rückgriffs gibt de Saint-Exupéry 1948. (Citadelle) Eine Auseinandersetzung der Staatslehre mit diesem wesentlichen Werk des modernen Staatsdenkens und der öffentlichen Ethik sucht man vergeblich." Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch dies ist ein Grund, warum wir uns bei philoSOPHIA damit beschäftigen.
Autor: Carsten Passin


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